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Atheismus und Christentum

Ausgangstext 09.01.2018 -Text 8/10-: http://blog.wolfgangfenske.de/2018/01/09/bergpredigt-drastik-der-worte-a-i-d-a/

Bergpredigt: Drastik der Worte – A.I.D.A. - von Wolfgang Fenske
Veröffentlicht am 09. Januar 2018

Bislang hatten wir in der Bergpredigt, dass Jesus Menschen, die erniedrigt wurden, sich nicht klein machen dürfen. Gott erhebt sie. Dann sahen wir, dass Jesus eine neue Verhaltensweise forderte, die die Gemeinschaft stärkt, indem man andere nicht beschimpft, nicht erniedrigt, dass man zuverlässig ist, die Gewaltspirale unterbricht, nicht heuchelt, Gott vertraut in seinem Alltagsleben.

Dann liegt es nahe, wenn man das alles liest, dass man denkt: Oh, XY hält sich nicht daran!

Wohl darum fügt Matthäus diesen Ausführungen folgende Texte an:

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet…

Der Mensch, der den anderen richtet, der wird gerichtet werden – und zwar von Gott. Er spricht sich selbst im Grunde das Urteil. Wenn er freundlich ist, gerecht, dann wird er entsprechend gerichtet werden.

Und der Forderung, die eine Gruppe anspricht, folgt wieder eine massive Übertreibung, die wir bei Jesus schon häufiger beobachtet haben, die ein Individuum anspricht:

Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?
Wie kannst du zu dem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen –
Und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?
Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

Wir müssen also die Drastik in vielen Worten Jesu beachten, damit man sie nicht wörtlich nimmt. Es sind rhetorisch bedingte Übertreibungen, damit man sich das alles besser merken kann. Und man kann ja mit sich selbst den Versuch machen: Welche Worte Jesu merkt man sich? Beschimpfen -> Hölle, Hand abhacken, Auge rausreißen, Wange zum Schlag hinhalten, Balken im eigenen Auge haben, Kind einen Stein bzw. eine Schlange zur Nahrung geben… – alles ist schmerzhaft, man assoziiert äußerst Negatives – man sieht daran: die „Werbung“ funktioniert. Nach dem Muster geht eben auch die Werbung vor: Der Mensch soll nach dem A.I.D.A.-Prinzip in diesen Texten nicht zum Kaufen angeregt werden, sondern zum sozialen Handeln: Aufmerksamkeit hervorrufen (A), Interesse wecken (I), Wunsch, sich zu ändern (D-Desire), dann Umsetzung (A – Action).

Zum Text: Man soll also nicht sagen, mein Bruder verhält sich nicht, wie er es soll, sondern soll fragen: Verhalte ich mich so? Und bis ich dann den Balken aus meinem Auge gezogen habe – wird es eine ganze Weile dauern.

Den Text 7,6 habe ich schon angesprochen. Es geht um das Heilige, das man nicht den Hunden geben und die Perlen, die man nicht vor die Säue werfen soll, damit sie es nicht zertreten. Wieder AIDA – aber leider wissen wir nicht mehr, in welchem Kontext Jesus das gesprochen hat, was er meinte. Aus matthäischer Sicht könnte gemeint sein, dass man in der Situation der Verfolgung nicht die Botschaft Jesu preisgibt.

Es folgt das Thema Gebet (7,7-11). Es beginnt mit dem Bettlerspruch:

Bittet, so wird euch gegeben,
sucht, so werdet ihr finden,
klopft an, so wird euch geöffnet.

Dem folgt die Zusage.

Dieser Zusage schließt sich ein Bildwort an – das auch wieder drastisch ist: Selbst Menschen, die böse sind, geben ihren Kindern keinen Stein, wenn sie um Brot bitten, oder eine Schlange, wenn sie um Fisch bitten. Entsprechend folgt auch diesem Bildwort eine Zusage: Gott wird Gutes geben, wenn man ihn bittet. Im matthäischen Kontext bedeutet das: Wenn ich Gott bitte, die Verhaltensanweisungen ausführen zu können, nach seinem Willen leben zu können, dann ermöglicht er es mir. Diese Argumentation finden wir auch Lukas 11,1-28: Es werden Texte hintereinander geschaltet, die insgesamt gesehen einen Argumentationszusammenhang bilden. Das ist eben die große Leistung der Evangelisten, das zu bewerkstelligen. Dadurch wird zwar den einzelnen Texten die eigentliche Intention genommen, aber sie dürfte noch darin erkennbar sein: A) an den Worten, die sie verwenden, dann eben auch B) an dem Kontext, in dem sie eingefügt wurden. Was aber jeweils zu untersuchen ist.

Zurück zum Text: Es geht in dem Bettlerspruch um Nahrung. Damit wird auch der Text 6,25ff. aufgegriffen: Man soll sich nicht um diese elementaren Dinge sorgen – auf seinem Weg, die Gottesherrschaft zu verkündigen.

Die Texte sind also multidimensional eingesetzt worden:

Was Jesus betrifft: Es wird ein großes Vertrauen auf Gott deutlich. Und: Das Vertrauen, dass Gott Gutes gibt. Und an dieser Stelle kann man nun viel nachdenken – weil sich automatisch die Theodizee-Frage einstellt: Gott gibt Gutes? Warum erhört er „meine“ Gebete nicht? Dieses Thema ist aber keines das Matthäus in der Bergpredigt behandeln will. Ihm geht es hier um unsere Verhaltensweisen. Von daher verlassen wir erst einmal diese spannende Frage nach der Gebetserhörung und kehren uns wieder der Bergpredigt zu. (Ich vermute nicht, dass es darum geht, Gott zu finden. Diese Frage war in der Zeit Jesu keine Frage. Gottes Existenz war den Menschen so sicher wie alles, was wir in der Schöpfung wahrnehmen.

Es folgt die Goldene Regel.

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen.
Das ist das Gesetz und die Propheten.

Jesus fasst die alttestamentlichen Weisungen in dieser Goldenen Regel zusammen. Sie ist typisch Jesus: Man soll in Vorleistung gehen. Man soll also den anderen Gutes tun (Masochisten sind hier wahrscheinlich nicht im Blick: Anderen Schlechtes tun, damit sie mir Schlechtes tun, weil ich gerne leiden will) – aber man ist sich nicht sicher, dass sie einem auch etwas Gutes tun.

Wir kennen die negative Form der Goldenen Regel:

Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.

Diese negative Form hat einen ganz anderen Duktus: Man unterlässt etwas, man unterlässt es, anderen zu schaden.

Die positive Form der Goldenen Regel wird von manchen als eine Form des Egoismus interpretiert: Ich will was Gutes – darum tue ich dem anderen etwas Gutes: Ich gebe dem Nachbarn ein Stück Kuchen, damit er mir von seinem Kuchen abgibt. Diese egoistische Interpretation ist zumindest für Jesus nicht zu belegen (oder übersehe ich etwas?).

Es wurde im Kontext des VaterUnsers gesagt, dass die jeweiligen Bitten in der Bergpredigt durch Matthäus ausgelegt werden. Hier ist es so, dass der Text auf die Vergebung in 7,14-15 eingeht. Das hieße: ich soll vergeben – also in Vorleistung gehen, damit mir der Mitmensch auch vergibt.

Heutzutage wird die positive Form der Goldenen Regel von Jesus abgekoppelt und wird als eine allgemein menschliche Erkenntnis dargestellt. Schön. Aber können wir sie ohne den Urheber überhaupt richtig verstehen? Warum ist es Menschen möglich, in Vorleistung zu gehen? Weil sie so toll sind? Im Hintergrund steht auch das Ertragen von Leiden. Nachfolgerinnen und Nachfolger müssen leiden ertragen können – und dazu gehören auch Enttäuschungen. Aber das wurde im Kontext der 5. und 6. Antithese vertieft.

 

Diskussionsfaden
8 Kommentare/ Antworten

 

Holger Gronwaldt
9. Januar 2018 um 8:42 Uhr

Im matthäischen Kontext bedeutet das: Wenn ich Gott bitte, die Verhaltensanweisungen ausführen zu können, nach seinem Willen leben zu können, dann ermöglicht er es mir.

Etwas eigenwillig interpretiert. Es geht bei Matthäus ganz offensichtlich nicht darum, dass der Betende sein Verhalten ändern möchte, sondern darum, dass ihm etwas mangelt und er seinen Gott bittet, dem Mangel abzuhelfen.

Ich fürchte, auch dieser Text enthält wieder viel Wortgeklingel und Dinge, die an den Haaren herbeigezogen werden.

Richtig ärgerlich aber wird es, wenn aucn noch Geschichtsklitterung betrieben wird. Die so genannte Goldene Regel hat keineswegs Jesus als ihren Urheber, sie ist um einige Tausend Jahre älter, wahrscheinlich sogar Zigtausende von Jahren. Sie ergibt sich auch unmittelbar aus Vernuftgründen, wenn man darüber nachdenkt, wie das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft zu organisieren ist. Man kann also davon ausgehen, dass bereits mit Ausbildung einer differenzierten Sprache unter unseren frühen Vorfahren, sobald man überhaupt anfing, Regeln in Worte zu fassen, die Goldene Regel Bestandteil eines Regelwerkes wurde. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass man die Goldene Regel praktisch in allen antiken Kultiuren findet, von denen und schriftliche Zeugnisse überliefert sind:

https://en.wikipedia.org/wiki/Golden_Rule
https://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Regel

Ich empfehle Ihnen, doch etwas sorgfältiger zu recherchieren, bevor Sie Behauptungen aufstellen, denen handfeste Tatsachen entgegenstehen.

 

Wolfgang Fenske
10. Januar 2018 um 8:51 Uhr

Zum Gebet: Ja, das Vaterunser ist ein Gebet und bittet Gott. Aber es ist ein „Wir-Gebet“ – und Gebete haben soziale Funktion. Darum diese Weiterführung.
Zur Goldenen Regel: Nicht ärgern – wir sprechen über dies und jenes – und auch ich könnte was übersehen – ich bekenne mich zu meiner Unvollkommenheit. Dazu nun: Als nächstes kommt vorchristlich vielleicht noch Konfuzius – aber ansonsten finden wir soweit ich sehe die negative Form. Aber ich lasse mich da gerne belehren. Freilich kommt es darauf nicht an, ob wir das auch wo anders noch finden – die positive Form! Bekannt wurde sie in unserem Kulturkreis durch das NT. Und von daher müssen wir sie, was ich versuche zu tun, aus der Perspektive Jesu interpretieren. Er kann eben die positive Form nennen, weil er von Gott ausgeht. Die positive Form wird ja auch stärker kritisiert, weil sie unrealistischere Seiten hat als die negative Form.

 

Holger Gronwaldt
10. Januar 2018 um 9:45 Uhr

Freilich kommt es darauf nicht an, ob wir das auch wo anders noch finden – die positive Form! Bekannt wurde sie in unserem Kulturkreis durch das NT.

Es bleibt aber dabei, dass Jesus nicht ihr Urheber ist, wie Sie behauptet haben. Darum ging es mir in erster Linie.

Ganz abgesehen davon, dass die Goldene Regel nicht ganz unproblematisch ist, denn wer sie befolgt, macht seine eigenen Vorstellungen und Empfindungen zum Maßstab aller Dinge. Das mag bei „normalen“ Menschen ja noch angehen, aber wenn wir die vielen psychischen Verirrungen betrachten (jedoch, wer bestimmt eigentlich, was „Verirrun“ ist und was nicht?), dann wird die Regel äußerst fragwürdig. Sie haben das mit dem Beispiel Masochismus ja schon abgedeutet.

 

Wolfgang Fenske
11. Januar 2018 um 8:11 Uhr

Ohne Jesus und seine Verkündigung Gottes im Hintergrund ist die Goldene Regel eben nicht zu verstehen.

 

Holger Gronwaldt
11. Januar 2018 um 10:01 Uhr

Ohne Jesus und seine Verkündigung Gottes im Hintergrund ist die Goldene Regel eben nicht zu verstehen.

Zweckbehauptung? Worthülse? Wortgeklingel?

Ohne weitere Begründung bleibt Ihr Satz unverständlich, zumal Sie im Eingangstext eine unzutreffende Behauptung aufstellen:

Aber können wir sie ohne den Urheber überhaupt richtig verstehen?

Jesus war eben nicht der Urheber und ob sie ohne das Matthäus-Evangelium nicht ebenso im allgemeinen Bewusstsein verankert wäre, lässt sich natürlich nicht mehr überprüfen. Es spricht aber doch einiges dafür, denn das reziproke Verhalten („Tust du mir einen Gefallen,dann tue ich dir auch einen Gefallen.“) ist evolutiv gut abgesichert und findet sich auch schon im Tierreich, sogar über Artgrenzen hinweg.

Deshalb geht Ihre Frage

Warum ist es Menschen möglich, in Vorleistung zu gehen?

ins Leere, denn sie ist längst beantwortet: menschliche Gesellschaften würden ohne sehr viel schlechter oder auch gar nicht funktionieren. Die Regel ist also im Ansatz gut, in imperativer Form problematisch und in der Übersteigerung, die Jesus lt. Evangelien daraus gemacht hat, weitestgehend impraktikabel.

 

Wolfgang Fenske
12. Januar 2018 um 8:36 Uhr

Wenn ich einen Satz sage und Sie denselben Satz sagen, dann ist es klar, dass ich etwas anderes darunter verstehen kann als Sie. Wie: Liebe deinen Nächsten –
der Traditions-Hindu versteht etwas anderes darunter als ein Christ… Wenn Jesus mit Gott im Hintergrund das formuliert, was wir Goldene Regel nennen, und sagen wir ein asiatischer Philosoph, entsprechende Worte formulieren sollte, dann sind die Hintergründe zu beachten. Wie ja auch der Kontext bei Konfuzius deutlich werden lässt: Anpassung, um die Hierarchie nicht zu erzürnen. Das wäre Jesus vollkommen fremd.

 

Holger Gronwaldt
13. Januar 2018 um 12:59 Uhr

Anpassung, um die Hierarchie nicht zu erzürnen. Das wäre Jesus vollkommen fremd.

Dem Pauls allerdings nicht, denn der fordert ja ausdrücklich Gehorsam gegenüber der „von Gott eingesetzen Obrigkeit“.

Ja, was denn nun? Dabei dürften die Aussagen des Paulus, der ja der eigentliche Religionsstifter des Christentums ist, wesentlich authentischer zu werten sein, als das, was uns über Jesus überliefert ist.

 

Wolfgang Fenske
14. Januar 2018 um 17:38 Uhr

Unterschiedliche Situationen, Zeiten, Ziele erfordern unterschiedliche Strategien. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Für Paulus ist es sehr wichtig, dass die Gemeinde das tut, was für ein Sozialwesen relevant ist. Und das war auch Jesus wichtig (gebt dem Kaiser…). Jesus wie Paulus waren keine Zeloten. Das Ziel bestand darin, das in der Gesellschaft durchzusetzen, was einem relevant ist. Und das soll nicht durch militaristische und revolutionäre Hitzköpfe zerstört werden. Man kann auch Feindesliebe eben so interpretieren, als hätte Jesus vor den Herrschern gekuscht, oder dass er sich nicht gegen die Kreuzigung wehrte… – aber Christen haben eine andere Intention.

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