Ausgangstext der Diskussion 10.12.2017: http://blog.wolfgangfenske.de/2017/12/10/religioese-sprache/
1.
Unterschiedliche Wissenschaften und Gruppen einer Gesellschaft haben unterschiedliche Sprachen – neben der Alltagssprache. Mathematiker haben eine andere Sprache, Logiker haben eine, Juristen haben ihre Sprache und Mediziner, Psychologen und Naturwissenschaftler welcher Couleur auch immer, Jugend hat ihre Sprache, Alter und dann der Slang, unterschiedliche Kulturen haben ihre Art, Worte zu verwenden und – damit zusammenhängend – zu diskutieren.
2.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Inhaltlich ist das ein vollkommen unlogischer Satz. Was ist Würde? Was/wer ist Mensch? Was bedeutet unantastbar? Würde wird nicht definiert, weil es Menschen ausgrenzen würde. Man kann vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, wenn man den Eindruck hat, dass einem die Würde genommen wird. Mensch. Was ist der Mensch? Aus welcher Perspektive? Chemie, Biologie, Soziologie, Religion, Psychologie… Eine Einengung auf eine dieser Sichtweisen wird dem Menschen nicht gerecht. Ein Ausschluss dieser Sichtweisen ebenfalls nicht. Unantastbar? Heißt das: Keiner darf sie antasten? Was heißt das aber, wenn man nicht definiert, was Würde ist, was Mensch ist? Heißt das, dass sie nicht angetastet werden darf, dass sie überhaupt nicht angetastet werden kann? Usw. Gleichzeitig ist das ein wunderbarer Satz, weil er den Menschen – den individuellen Menschen ernst nimmt. Ernst nimmt in seinen eigenen Befindlichkeiten. Er ist nicht nur Teil der Gemeinschaft und als solches wichtig, er ist als Individuum wichtig. Und so lautet die Frage immer – auch wenn wir das nicht alles so genau definieren können -: Wo werden in unserem Land Menschen entwürdigt? In schweren Grenzfällen kommt es entsprechend auch zu heftigen Diskussionen (Abtreibung, Altenpflege, Gefängnissen…).
3.
Wir sind in unterschiedlichen Sprachspielen zu Hause. Und wenn man sich nicht aus der Gesellschaft mit ihrer Alltagssprache ausschließen will, muss man versuchen, so kompatibel wie möglich zu sein. Das ist ja auch die große Angst mancher Wissenschaftler, dass sie sich so von den allgemeinen Menschen abheben, dass sie sie nicht mehr verstehen und darum nicht nur links liegen lassen, sondern sie sogar ablehnen – und damit keine Gelder durch die Politik mehr zugewiesen bekommen. Darum muss die Wissenschaft auch immer versuchen, ihre Sprache in allgemeine Sprache umzuwandeln – in andere Sprachspiele hinüberzuführen. Und das betrifft auch die Religion. Die Religiöse Sprache ist dann kein Problem, wenn Menschen in ihr zuhause sind. Sobald aber der Faden abreißt und keiner mehr die religiöse Sprache versteht, bekommt sie Probleme. Man verwendet Bilder – aber kaum einer weiß mehr, was sie meinen. Und so muss also auch Religion immer wieder versuchen, wie die Wissenschaft, sich in der jeweiligen Alltagssprache vernehmbar zu machen. Wie die Wissenschaft weiterhin Insidersprache ausbildet, so natürlich die Religion. Aber man muss über diese Insidersprache hinauskommen, um den Kontakt zur Alltagssprache nicht zu verlieren. Das betrifft aber auch den Sprung zwischen den Religionen. Wenn der islamische und christliche Kulturkreis aufeinander treffen, dann haben sie nicht dasselbe Sprachspiel (wie auch das Sprachspiel innerhalb der christlichen Konfessionen variiert und mühsam zusammengeführt werden muss) – und diesen anzugleichen dient der Religiöse Dialog.
4.
Die Religiöse Sprache besteht unter anderem aus:
5.
Religiöse Sprache vermittelt auch Sinn des Lebens. Das ist aber nicht allein mit der Religion zu verbinden, sondern auch mit anderen:
Darin sahen viele Vorfahren den Sinn ihres Lebens. König gibt es nicht mehr. Vaterland gibt es noch – und wenn es dem Vaterland schlecht geht, geht es auch dem Individuum schlecht. Von daher ist der Einsatz für das Vaterland auch heute noch für viele äußerst sinnvoll. Einsatz für die Familie, das Überleben des Stammbaumes, damit verbunden auch in höheren Kreisen das Bewusstsein, dass man als Familie zum Wohl der Gemeinschaft (viele auch zum eigenen Wohl) wirken muss.
Heutzutage kam manches pointiert Neue hinzu:
Das bedeutet, dass Menschen ihren Sinn sehen, unabhängig von den klassischen Religionen, auch wenn sich viele, die sich für Menschenrechte und Umwelt einsetzen, auch religiös sind, wenn manche auch nicht christlich, so doch mit Hilfe eines Flickenteppichs religiöser Wohltaten (Esoterik, Wiedergeburt…) ihr Leben einrichten. Menschen wollen eher wieder auf die Erde kommen, der KarmaGedanke ist manchen angenehmer als der Gedanke, bei einem Gott zu sein, den sie nicht kennen. Oder: Man kann sich selbst sagen: Gut gemacht! Du hast dich für die gute Sache eingesetzt. Nun kannst du ruhig den Weg jeglicher Natur gehen – den des Vergehens -, und dienst recycelt der Natur.
Das bedeutet für die religiöse Sprache: Religion war dafür, dem Leben einen Sinn zu geben, das über das Irdische hinausgeht, zuständig. Das wurde von anderen Sinn-Gebungen ersetzt. Die Frage ist nun – mit Blick auf den christlichen Glauben: Wie können wir unsere Sprache so einsetzen, dass sie Menschen Heimat bietet, dass sie Menschen hilft, den zu erreichen, der die Ursache und das Ziel des Lebens ist? Geht das überhaupt nur mit Sprache – muss man dazu nicht alle Möglichkeiten (s. oben 4.) in Betracht ziehen? Wie kann man darauf aufmerksam machen, dass sie religiöse Ersatzhandlungen verfallen sind, statt sich dem wahren Gott zur Verfügung zu stellen? Aber auch das ist Ausdruck der Zeit: Statt Blumen: Plastikblumen, statt Freiheit: ein Cabrio, statt echte Nahrungsmittel: irgendwelche chemische Schnitzel, statt echten Menschen: Menschen über Geräte (TV, Radio, Handy…)…
6.
Das bedeutet nun: Diese Sprachspiele sind in der Kommunikation zu beachten. Man ist jeweils Teil einzelner Sprachspiele, niemals Teil des gesamten Spiels. Von daher sind Rücksichtnahme, Verstehensversuche angebracht, statt Dominanzgebarens.
(*) Geschichtsschreibung betont die Herrscher, die Macht, die Starken. Diejenigen, die im christlichen Sinn tätig waren, kommen im wesentlichen nur durch die Heiligenlegenden usw. in den Blick. Hin und wieder erlauben auch mal andere Infos einen kleinen Einblick in die christliche Alltagswelt. Von daher sind viele auch Opfer der allgemeinen Geschichtsschreibung der Sieger. Heute gehen Bemühungen tiefer: Wie können wir den Menschen des Alltags in der Geschichte auf die Spur kommen? Da hat zum Beispiel die feministische Betrachtung so manches herausgearbeitet, was für Christen wohl noch nicht so vorliegt. Ich muss aber meine Unkenntnis eingestehen. Gibt es eine christliche Geschichtsaufarbeitung „von unten“?
Holger Gronwaldt
10. Dezember 2017 um 21:27 Uhr
Schade, dieser Beitrag reizt zu massivem Widerspruch, aber ich würde Stunden benötigen, auf alles einzugehen.
Ich kann nicht so ganz nachvollziehen, was Einsatz für Menschenrechte und Umwelt mit Religion zu tun haben sollen.
„Macht euch die Erde untertan“ ist doch genau das Gegenteil von Umweltschutz und die Geschichte zeigt, dass die christlichen Kirchen im Boot derer saßen, die die Durchsetzung der Menschrechte verhindern wollten.
Was bitte soll „christlicher Sinn“ sein? Das würde doch jeder Gläubige anders definieren und ich denke, die meisten Katholiken (jedenfalls von denen, die in der Lage sind, selbständig zu denken) würde nicht einmal das unterschreiben, was der Papst unter „christlich“ versteht.
„Vaterland“ ist doch schon immer ein inhaltsleerer Begriff gewesen, in die Welt gesetzt von denjenigen, die tumbe „Volksgenossen“ für ihre Zwecke missbrauchen wollten (ich sage bewusst nicht mehr „ausnutzen“). Der Satz ist bestenfalls eine unreflektierte Floskel, die ich von Ihnen so nicht erwartet hätte!
DAS Individuum gibt es doch gar nicht in einem Land, sondern vielmehr Millionen von Einzelpersonen, manchmal in kleinen Gruppen mit zum Teil gemeinsamen Interessen vereint (Familie, Verein, usw.) von denen es einzelnen gut bis sehr gut, anderen schlecht bis sehr schlecht geht, völlig unabhängig davon, wie es um das Land als Ganzes bestellt ist.
Schauen Sie doch in die USA, wo man einen Ersatzbegriff für Vaterland („America first!“) dazu verwendet, viele Millionen Menschen (bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung!) in Abhängigkeit und Armut zu halten, nur damit Multi-Millionäre und Multi-Milliardäre ihren oft unrechtmäßig erworbenen Reichtum (nicht unbedingt nach den Gesetzen des Landes, aber unter ethischen Gesichtspunkten, was ein gewaltiger Unterschied sein kann) noch weiter aufblähen können.
Ein Donald Trump führt den weitaus größten Teil seiner Anhänger hinters Licht und die merken es nicht einmal, dass sie nichts weiter sind als Stimmvieh für die Reichen, die sie mit dem Appell ans „Vaterland“ für ziemlich dumm verkaufen!
Da halte ich es lieber mit einem Teil der alten Römer – natürlich nicht denen, die wie heute Trump und seine Vasallen suggerierten: „dulce et decorum est pro patria mori“, sondern denen, die damals schon erkannt haben: „patria ubi bene!“ Dem möchte ich nichts hinzufügen.