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Atheismus und Christentum

Ausgangstext der Diskussion 11.12.2017: http://blog.wolfgangfenske.de/2017/12/11/jesus-von-nazareth-jesus-christus/

Jesus von Nazareth – Jesus Christus - von Wolfgang Fenske
Veröffentlicht am 11. Dezember 2017

Was wissen wir von Jesus Christus?

Es gibt immer wieder versuche, das, was wir von Jesus Christus wissen, zu minimieren. Dabei wissen wir eine ganze Menge, auch wenn wir erst einmal nur die historisch-kritische Exegese beachten.

Wir wissen von seinen jüdischen Eltern (Maria und Josef), seinen Geschwistern (Jakobus, Joses, Judas, Simon – die Schwestern werden nicht mit Namen genannt) – es war eine große Familie, der Vater dürfte vor seinem öffentlichen Auftreten verstorben gewesen sein. Wir wissen wo er geboren wurde (Nazareth) und wo er gestorben ist (Jerusalem). Wir wissen ungefähr das Jahr seiner Geburt (7-4v.Chr.) – als Augustus in Rom und sein Anhängsel Herodes in Jerusalem herrschte – und ungefähr das Jahr seines Todes (30 n.Chr.). Wie er gestorben ist, das wissen wir auch: Durch politische Hinrichtung am Kreuz, an der ein Präfekt/Statthalter beteiligt war, der 26-36 regierte und Pontius Pilatus hieß. Jesus war von Beruf Zimmermann wie sein Vater Zimmermann war (die Frage ist nur – wie der Holzberuf konkret aussah). Das ist für antike Verhältnisse nicht wenig. Diese historischen Bezüge kennen wir alle aus den neutestamentlichen Schriften, es ist also nichts eingelesen worden.

Wir müssen also unterscheiden: Es gibt ganz genau historische Angaben – und es gibt Angaben, die wir heute nicht verifizieren können bzw. auch solche, die wir als falsch ansehen müssen, weil sie zum Beispiel nicht ganz passen, also nachträglich nicht ganz korrekt rekonstruiert wurden. Google bzw. Wikipedia gab es damals noch nicht – so dass man schnell nachschauen konnte: Wann fand zum Beispiel die Steuerschätzung statt? Überwiegend wird das Jahr 6 n.Chr. angenommen (wenn es denn nicht die langgezogene „weltweite“ Schätzung war, die vor Christus begonnen worden sein soll. Oder wenn Jesus 6 n. geboren worden sein sollte, dann ist der Bezug zu Herodes dem Großen nicht korrekt, der 4 vor Christus starb. Wir finden also Angaben, die heute eindeutig historisch eingeordnet werden können und Angaben, die wir nicht präzise bestimmen können. Und das trifft auch auf das gesamte Leben Jesu zu. Das ist nun die Aufgabe der historisch-kritisch Arbeitenden, das jeweils zu diskutieren – und wenn neue Funde usw. hinzukommen, neu einzuordnen.

Dann kam dieser Zimmermann nach Kapernaum. Warum gerade Kapernaum? Denkbar ist: Jesus von Nazareth – jetzt stelle ich ein wenig meine Recherchen dar – ging als Zimmermann nach Tiberias, das ab dem Jahr 17 n.Chr. gerade aufgebaut wurde. Weil er als Zimmermann tätig war, gab es also dort Arbeit – und der Mitte 20 jährige – wohnte in Kapernaum, nicht weit weg von der Baustelle Tiberias.

Dann gibt es eine zeitliche Lücke von ca. 10 Jahren. Dann: Der junge Mann aus Galiläa hörte von einem Johannes, der in Judäa/Peräa taufte (26/27). Ein apokalyptischer Prediger, der das Volk dahin bringen wollte, sich wieder dem Gesetz Gottes zuzuwenden und das Kommen eines von Gott Gesandten angekündigt hat. Jesus selbst wurde also von ihm angezogen, ließ sich von ihm taufen. Diese Taufe mag für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen sein. Herodes Antipas – so der Herrscher – ließ Johannes ca. 28/29 hinrichten. Jesus begann wohl direkt nach seiner Taufe zu wirken – und zwar in einem anderen Sinn als Johannes der Täufer. Beiden gemeinsam ist die Ankündigung der nahen Gottesherrschaft. Beiden gemeinsam ist, dass man sich entsprechend der Gottesherrschaft sozial verhalten solle. Dieses soziale Verhalten zu leben und zu verkünden, das war dann der Mittelpunkt der Wirksamkeit des Jesus von Nazareth. In seiner Lehre verwendete er prägnante Bildworte, er verwendete Gleichnisse, in denen er den Menschen verdeutlichen wollte, was er glaubte. Im Zentrum stand jedoch nicht das Gericht, im Zentrum stand die Vergebung – und zwar unabhängig vom Tempel. Das Gericht Gottes war im Denken vorhanden – aber es war ein drohender Unterton, aber das Bedeutsame war, dass er einen anderen Lehr-Weg beschritt. Nicht drohen, sondern im Namen Gottes einzuladen. Dazu war er – anders als Johannes – ein sehr geselliger Mensch, der sich einfach bei anderen Menschen eingeladen hat – und zwar nicht allein, sondern mit einer Schar von 12 Männern, die er auswählte – was damals unüblich war. Neben seiner Lehre hat er das getan, was aus seiner Sicht dem Reich Gottes entsprach: Menschen leben ein angenehmes Leben, befreit von Krankheiten und von Mächten. Dass Jesus in den Augen seiner Zeitgenossen heilen konnte, das ist unbestritten – auch dass er geheilt hat. Die Frage ist nur: Welche Berichte gehen auf Taten von ihm zurück, welche haben sich an ihm angerankt. Und da kann man eine ganze Menge erkennen, wenn man sie detailliert untersucht. So kann man erkennen, dass die Wunder im Sinne der damaligen Zeit erzählt wurden (Gattung), aber auch spezifische Neuerungen hatten, z.B. Thema Vergebung, Sabbat und: Glauben. Glauben ist die Beharrlichkeit, auf dem Weg zur Heilung zu Jesus Hindernisse zu überwinden. In seiner Zeit war auch nicht die Frage, ob er Menschen, die in der Gewalt von Dämonen war, befreite. Die Frage war nur: Wie macht er das. Das wissen wir heute auch nicht. Heute wird als plausibelste Antwort das gegeben, was die Psychologie erarbeitet hat. Er hatte – und das ist auch schon großartig -, die Fähigkeit, den Menschen so zu begegnen, dass sie psychisch befreit, gesund wurden. Und wie ist es mit den Naturwundern? Die Naturwunder werden schon von den Evangelisten schillernd als Wunder und „Gleichnis“ verstanden. Sie weisen auf etwas hin. Das Weinwunder zum Beispiel weist auf das Abendmahl (meine Stunde ist noch nicht gekommen).

Ich kann hier nicht alles detailliert darlegen – aber man weiß sehr viel und zwar mit Hilfe von Methoden, die die historisch-kritische Exegese samt der anderen Geschichtswissenschaften herausgearbeitet haben.

Historisch-kritisch wurde herausgearbeitet, dass er sich selbst nur den Hoheitstitel „Menschensohn“ gegeben hat – wenn er es denn als Hoheitstitel verwendet hat -, wobei manche fragen, ob er sich selbst meint oder einen anderen als kommenden Menschensohn erwartete. Was auch immer war: Er hatte ein immenses Selbstbewusstsein, das in der Formulierung deutlich wird: Ich aber sage euch…, aber auch darin, dass er Menschen vom Opfer/Tempel löste (Vergebung), dass er das Thema rein-unrein anders verstand (ein Unreiner macht keinen Reinen unrein, sondern er als Reiner macht den Unreinen rein). Das hatte Auswirkungen auf den Umgang mit Aussätzigen (Leprösen?) und mit Frauen, ebenso mit solchen, die als Gesetzesübertreter angesehen wurden. Diese Menschen nun, die sich von ihm angesprochen fühlten, die hat er dann zusammengeführt zur Familie der Kinder Gottes. Diese sollten sich so verhalten, wie es Gott – aus seiner Sicht verlangt: zum Beispiel teilen. Aber nicht nur Geld teilen, sondern: Gefangene besuchen, Obdach geben, Kleidung und Nahrung geben… – weil Gott sich mit ihnen sagen wir es modern „solidarisiert“.

Das führte alles zu heftigen Auseinandersetzungen mit der religiösen Elite und deren Vertreter bzw. mit Konkurrenzströmungen, sodass er wohl zweimal floh, einmal nach Tyrus/Sidon, dann nach Caesarea Philippi. Und hier hat er dann aufgrund eines Erlebnisses gemerkt, er muss einen anderen Weg gehen, kehrte um und ging nach Jerusalem. Und jeder wache Mensch seiner Zeit konnte ahnen, dass es aufgrund der Auseinandersetzungen kein ruhiger Ausflug nach Jerusalem sein wird. Von daher sind Leidensweissagungen wie auch immer sie gelautet haben mögen, sehr wahrscheinlich. In Jerusalem gab es dann Auseinandersetzungen, in deren Zuge er hingerichtet worden ist.

Nun geschah etwas, das die Jünger selbst nicht kapierten – und was historisch-kritische Exegese nicht eruieren kann. Sie kann nur sehen: Es musste etwas geschehen sein, das die Nachfolgerinnen und Nachfolger als außergewöhnlich angesehen habe. Sie nannten es „Auferstehung“. Und sie ringen um Worte, dieses Außergewöhnliche darzustellen. Historisch-kritisch ist natürlich nicht die Auferstehung zu beweisen, denn die kann es nicht geben (das ist die Voraussetzung, die man in der historisch-kritischen Exegese macht: Es kann nur etwas geschehen sein, das auch Parallelen hat, was im Erfahrungsbereich der Menschen liegt, das im Experiment wiederholbar ist. Und das alles ist die Auferstehung nicht) also kann man nur die Folgen dieses Ereignisses sehen. Was historisch-kritisch aber auffällig ist: Eine Frau, die als Zeugin in der damaligen Zeit nicht besonders hoch angesehen war, ist Erstzeugin. Hätte man das alles erfunden, hätte man Männer genommen. Was nun also stattgefunden haben kann, das wird vielfältig diskutiert, bis dahin, er sei gar nicht am Kreuz gestorben, sondern später – so meinen Ahmadis, Jesu Grab liege in Kaschmir.

Das Wesentliche ist, dass diese Erfahrung auch die Berichterstattung über Jesus veränderte. Die Anhänger konnten Jesus nicht mehr allein als Menschen, den sie kannten sehen, sondern eben: Der Mensch Jesus war durchleuchtet von dieser Erfahrung. Das prägt nun auch die neutestamentlichen Berichte, prägt Paulus usw. Entsprechend finden wir dann sehr viel über Jesus, den Christus – bis dahin, dass er bis in die Gegenwart hinein wirksam ist. Nicht nur wirksam über seine Texte (NT) – sondern auch als Macht (Geist Gottes). Und diese neutestamentlichen Berichte werden – zum Glück für die historisch-kritische Exegese – nicht vereinheitlicht, sondern in vierfacher Form sogar kanonisiert.

Dieser Jesus von Nazareth prägt auch den Umgang mit den Worten des AT. Jesus stand in der alttestamentlichen Tradition – besser: In der Tradition seines Volkes – und hat aber daraus bestimmte Ansichten übernommen, andere hat er abgelehnt. So gibt es im AT verschiedene Strömungen, was den Umgang mit Nichtjuden betrifft. Engere und weitere. Jesus wusste sich seinem Volk verbunden – hat aber diese enge Sicht immer wieder durchbrochen (Barmherziger Samariter, Umgang mit Heiden). Was er vom Opfer hielt, wissen wir weniger. Zu vermuten ist: Er hat es nicht abgelehnt – aber er hat es auch nicht betont. Das FeindesliebeGebot ist sicher seine Sichtweise. Und das stimmt eben nicht, dass er es nur auf sein Volk bezogen hat, sondern er hat es ausgeweitet: Jeder, der einen Feidn hat, soll ihn lieben – wobei Lieben keine Euphorisierung der Emotion ist (kann man ja auch nicht befehlen), sondern bedeutet: Ihm Gutes tun. Die Goldene Regel in ihrer positiven Form begegnet, soweit ich noch in Erinnerung habe, nur in der JesusÜberlieferung. Oder er war gegen Erniedrigungen anderer (gegen Beschimpfungen, gegen Erniedrigungen von Frauen) – und hat das auch mit harschen Worten deutlich gemacht. (Man darf auch bei Jesus die Rhetorik nicht übersehen – allerdings nicht die saubere, lehrschulenhafte Anwendung aristotelischer ciceronischer Rhetorik.) An manchen Stellen wird dann deutlich, dass die Wirkung dieser Worte auch auf die frühe Gemeinde ausgestrahlt hat: Grenzen überschreiten, Menschlichkeit, Vergebung… – es gab Auseinandersetzungen zwischen den (christlich) jüdischen Traditionalisten und denen, die Jesu Worte intensiviert haben. Jesus war nicht gesetzlich. Er forderte das Teilen – aber er hat zum Beispiel auch der Frau Recht gegeben, gegenüber den Anklägern, die für ihn viel Geld ausgegeben hatte – was seine Anhänger als Verschwendung angesehen haben. Was ich bei Jesus auch bemerkenswert finde: Er hat den Menschen, mit dem er es zu tun hatte, nicht nur als ein Teil des Volkes gesehen, sondern als Individuum. Was er auch gefördert hat: Das Wort „MenschenWürde“ gab es noch nicht. Aber er hat durch Worte und Taten gezeigt, was es bedeutet, dass Menschen Würde haben.

Von hier aus gesehen ist Jesus für mich Maßstab. Menschlichkeit, gegen Gesetzlichkeit, Grenzen überwindend, Hindernisse überwindend, vergebend… – und das schließt vieles aus: Rassismus, Nationalismus, Todesstrafe (wegen Vergebung, Ermöglichung von Neuanfang)… Da er aber nicht gesetzlich war und auch im Grunde nur ein paar Maßstäbe, die es jedoch in sich haben, überliefert hat, wie das Leben nach Gottes Willen aussehen könnte, gibt es in der Gemeinde eben Diskussionen. Er selbst hat ja auch Diskussionen nicht gescheut.

Heute wird das schön in der WWJD-Aktion deutlich: Jeder muss sich selbst überlegen – er gibt keine Gesetze vor, auch keine alttestamentlichen: What would Jesus do?

Man kann Jesus kritisieren, man kann die Überlieferung kritisieren. Man kann die Christen weltweit und durch die Jahrhunderte kritisieren. Und das tun wir ja auch. Jesus hätte in dem einen Jahr (bzw. drei Jahren seines Wirkens) (!), die Sklaverei abschaffen sollen, er hätte, das waren die Erwartungen zu seiner Zeit: die Römer aus dem Land jagen sollen, er hätte das alttestamentliche Gesetz wieder zur Geltung bringen sollen, er hätte eine gerechte Herrschaft der Jünger als gerechte Könige aufbauen sollen… – der Wünsche durch die Jahrtausende gibt es kein Ende. Aber warum ist gerade dieser Jesus Christus so geschichtsmächtig geworden? Manche sagen: Wegen Paulus. Aber das ist dann wieder ein anderes Thema. Ich vermute: Er hat den Menschen etwas gegeben, wonach sie gesucht haben. Und wenn wir die Bergpredigt ansehen und sein Wirken, dann kann wohl kaum einer umhin kommen und sagen: Ja, wenn wir so leben würden, ohne Erniedrigungen, ohne Heucheleien, vergebend, einander annehmend – das wäre doch was. Dann wären wir schon viel weiter gekommen in der Welt. Und wenn man an ihn als Christus glaubt, dann hat er seine Hand weiterhin im Spiel der Geschichte.

Jetzt kann man freilich auch ein Gegenbild Jesu zeichnen. Die Texte, die dazu verwendet werden, müssen dann freilich genau untersucht werden. Da wären die Höllentexte, die man betrachten müsste und auch von der jeweiligen Redaktion lösen müsste (z.B. Matthäus liebt das Wort Heulen und Zähneklappern – ist das jesuanisch oder redaktionell? Paradebeispiel ist die Syrophönizierin-Geschichte, die Naherwartung – die jesuanisch ist, jeder wird so seine negativen Lieblingstexte haben, wie zum Beispiel das Schwertwort oder die Tempelaustreibung. Das Gleichnis von den 10 Brautjungfern, Jesu Umgang mit Maria… Es gibt unverständliche Texte, weil die Kontexte fehlen, usw. usw. Die Frage ist: Sind sie so dominant, dass sie das oben gezeichnete Bild umwerfen oder müssen sie in das gezeichnete Bild hineingewoben werden.

Damit habe ich aber erst einen Teil meiner Antwort nach dem Maßstab gegeben, mit dem ich alles messe. Irgendwann wird die Fortsetzung folgen.

 

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