Blog-Diskussionen

Atheismus und Christentum

Ausgangstext 11.05.2018: https://blog.wolfgangfenske.de/2018/05/11/roemer-13/

Römer 13 - von Wolfgang Fenske
Veröffentlicht am 11. Mai 2018

Paulus schrieb Römer 13, dass Christen der Obrigkeit zu gehorchen hätten. Dieser Text wurde dann vor allem in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus zu einem, der Menschen dazu brachte, sich nicht gegen Hitler zu wenden.

Dieser Satz spielte in seiner strengen Auslegung vor allem im lutherischen Christentum eine große Rolle, weil durch den Gang der Reformation die lutherisch geprägte protestantische Kirche streng an die Herrscher gebunden wurde, während die reformierte protestantische Kirche die Herrscher und die Beherrschten in einem weniger strengen Verhältnis zueinander führte. Das Volk bzw. die Kirche hatte eine größere Eigenständigkeit. Dann musste der Kaiser, der in Deutschland der Chef der protestantischen Kirche war, nach dem ersten Weltkrieg abdanken – die lutherische Kirche war dadurch ihres irdischen Kopfes beraubt. Sie suchte nach einer neuen Macht – und da kam für manche der Volksgedanke ganz gut: der Staat, der den Volksgedanken repräsentiert. Diesem muss man nun gehorchen. Aber schon vorher war der alte mittelalterliche Kampf zwischen Kirche und Staat zugunsten des Staates, der die Kirche beherrscht (Kaiser), im lutherischen Bereich in gewisser Weise aufgehoben, es war aber überwiegend noch ein gewisses Miteinander und eine Rücksichtnahme erkennbar.

Die Unterordnung wurde dann durch den nationalsozialistischen Staat von den Kirchen eingefordert: Die nationalsozialistische Partei ist alles – Kirchen werden nur geduldet, soweit sie seine Ideologie unterstützen (vgl. sozialistische Version: Die Partei hat immer Recht).

Ein großer Teil der Christen hat sich dann auch unterworfen (Deutsche Christen) – nicht wegen Römer 13, sondern weil sie mit dem, was der Nationalsozialismus propagierte, einverstanden waren. So mancher von ihnen dachte allerdings, er könne die Partei christianisieren. Ähnliches geschah auch im Kontext der Anpassung an den DDR-Sozialismus.

Christen, die sich nicht angepasst haben und Widerstand leisten wollten, haben zum Teil mit Römer 13 gerungen, weil sie dort eben die Unterordnung unter die Herrschaft des Staates geboten fanden. Von daher begann auch die Auseinandersetzung darüber, was eigentlich ein legitimer Herrscher ist, was ein Staat darf, was nicht. Und es ging um die Frage: Welche Art Widerstand Römer 13 erlaubt, welche Art Widerstand nicht.

Man sieht also, dass Römer 13 nicht als Römer 13 Schwierigkeiten machte, sondern im Kontext der geschichtlichen Entwicklung und Interpretation.

Wie geht man heute damit um? Man sagt, dass Apostelgeschichte 5,29 dem Satz von Römer 13 überzuordnen ist: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Die Dominanz dieses Textes hatte schon so mancher im Widerstand erkannt.

Was ist zu Römer 13 zu sagen? Paulus hat eine ganz andere Zeit, eine ganz andere Gemeinde im Blick gehabt als die, die sich gegen – wie es gesehen wurde – dem neuheidnischen Nationalsozialismus auflehnen musste.

Der Staat tritt auch für Paulus nicht an die Stelle Gottes, er wird ihm untergeordnet, was zwar traditionell jüdisch ist, aber den römischen Herrschern nicht gefallen haben dürfte – jüdisch-christliches Denken ist also im Grunde Aufruhr. Zudem geht es, wie der gesamte Kontext zeigt, darum, das Böse durch Gutes zu überwinden. Und ein gelingender Staat, der Gott zugeordnet ist, überwindet das Böse – und so hatte auch Paulus angesichts des römischen Rechts Vorteile (auch wenn er selbst vielfach ganz massiv unter Druck geraten ist). Grundsätzlich ist es aber so, dass Paulus in seinen Briefen versucht, die Christen als Gruppe autark zu machen – aber gleichzeitig diejenigen, die damit übertreiben, zurückpfeift. Das erkennen wir häufiger. Er predigte die Freiheit der Christen – manche Christen dachten, sie dürften vor lauter Freiheit amoralisch werden, und dann bindet Paulus den freien Christen an Jesus Christus.  Diesen Aspekt finde ich auch hier wieder: Christen sind autark, aber das heißt nicht, dass sie keine Steuern zahlen müssen (wie der Kontext von Römer 13 zeigt).

Paulus hatte kleine Gemeinden im Blick, denen vielfach Menschen angehörten, die machtlos, rechtlos waren. Es ging nicht um Kirche im heutigen Sinn, nicht um Institutionen, die in Staaten keine unwichtige Stimme haben.

Zudem ist interessant, dass dieser Satz aus moderner geschichtlicher Perspektive hervorgehoben wurde. Römer 13 diente wohl auch vielen dazu, sich zu verstecken, und Tätern vermutlich dazu, ihr Mitmachen zu rechtfertigen. Nach den Erfahrungen der Diktaturen sieht man heute, dass es nicht um einzelne Sätze geht, die man je nach Lust und Laune hervorhebt, sondern dass es darum geht, die Aussagen des Paulus insgesamt in den Blick zu bekommen und zu fragen: Wie meint er eigentlich was? Aber das heißt ja auch noch nicht, dass man einmütig handelt, weil jeder selbst entscheiden muss, was es heißt, verantwortlich zu handeln. Das ist es, was zählt, dass der einzelne Christ aus seinem Glauben heraus, aus seiner Beziehung zu Gott heraus verantwortlich handelt – und das im Kontext der Gemeinschaft der Gemeinde.

Zuletzt erkennt man aber an Bonhoeffer: Christen, die an Jesus Christus gebunden sind, müssen bereit sein, schuldig zu werden (mit dem berühmten Spruch: Nicht nur die verbinden, die unter das Rad gefallen sind, sondern dem Rad in die Speichen fallen). Aber nur im äußersten Fall.  Christen tragen Verantwortung – und müssen bereit sein, sie zu tragen. Trotz allem: Tyrannenmord – keiner, der aus christlicher Perspektive verantwortlich denkt und handelt, wird leichtfertig diesem zustimmen. Das sind Extremfälle, in der der einzelne Mensch nur aus Glauben einsam handeln muss – das kann nicht gefordert werden, darf nicht gefordert werden – und ist im Grunde auch abzulehnen. Im Allgemeinen geht es darum, dass die Kirche die Pflicht hat, dem Staat zu sagen, wo er sich vergeht und wenn es möglich ist, mit dem Staat um bessere Bedingungen für die Bevölkerung zu sorgen. Und so wollte Bonhoeffer, dass sich die Christen allgemein gegen diese bösartige Ideologie wehren, dass Christen auch außerhalb Deutschlands ein Treffen veranstalten, in denen das Verhalten des Staates verurteilt und angeprangert wird. Das Versagen von Christen hat häufig zur Folge, dass daraus Schlimmes folgt.

Das ist übrigens, wenn man die Globalisierung im Blick hat, für Christen in unserem Land leichter als für Christen – sagen wir – in einem islamischen oder kommunistischen… Land. Dort geht es erst einmal darum, mutig überhaupt zum christlichen Glauben zu stehen und zu hoffen, dass man das überlebt bzw. nicht in ein Umerziehungslager gesteckt wird bzw. vom Lebensunterhalt abgeschnitten wird.

Was Römer 13 betrifft, sagt die Barmer Theologische Erklärung von 1934 verschiedene Aussagen des Paulus umfassend und einordnend https://www.ekd.de/Barmer-Theologische-Erklarung-Thesen-11296.htm :

Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.

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Spannend finde ich Römer 13 aus einem anderen Grund: Gilt der Satz, dass man der Obrigkeit gehorchen soll nicht auch heute noch? Heute, in einer Demokratie? Wenn ein Gesetz beschlossen wurde, muss man dem nicht folgen? Natürlich muss man ihm folgen. Man kann aber dagegen argumentieren, man kann Gleichgesinnte sammeln – vielleicht schafft man es ja noch zu Lebzeiten, die Mehrheit auf seine Seite zu ziehen – und dann auch noch die politisch entscheidende Mehrheit. Auch eine Demokratie benötigt eine gewisse Konstanz. Wird sie aufgelöst, gibt es Anarchie, Zerstörung der Gesellschaft, Willkür, Rechtsbruch. Das kann im Grunde keiner befürworten, der Menschen nicht schaden will.

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Spannend finde ich die Auseinandersetzung um Römer 13 heute, weil manche den Christen vorwerfen, sich in den Jahren des Nationalsozialismus nicht über diesen Text hinweggesetzt zu haben – was auch immer die nachträglich Mutigen darunter verstehen – und gleichzeitig befürchten, dass Christen sich nicht dem Staat unterwerfen, sondern nur dann, wenn er ihnen passt, dass sie also eine ständige latente Gefahr sind, weil sie eine Parallelgesellschaft begründen könnten (vgl. Apg 5,29).

 

Diskussionsfaden
6 Kommentare/ Antworten

 

Holger Gronwaldt
11. Mai 2018 um 10:03 Uhr

Wieder einmal viel Wortgeklingel und die Kernfrage wird mit einem entschiedenen JEIN „beantwortet“.

Trotzdem – vielleicht auch unfreiwillig – ist dem Text zu entnehmen, dass Römer 13 auf die Geschichte Europas einen unheilvollen Einfluss hatte, der bis ins 20. Jhdt. reicht und von dem man sich erst dadurch lösen konnte, dass man sich insgesamt von gewissen christlichen Thesen löste. Die Bibel ist schon lange nicht mehr relevant für Fragen, die das Zusammenleben in einer globalisierten Welt betreffen, wie auch die aktuelle Politik des christlichsten aller westlichen Länder zeigt, dessen Regierung von Evangelikalen durchseucht ist.

Spannend finde ich Römer 13 aus einem anderen Grund: Gilt der Satz, dass man der Obrigkeit gehorchen soll nicht auch heute noch?

Interessant finde ich, wenn ein Theologe wieder einmal Sätze aus dem Zusammenhang reißt, sogar nur einen Halbsatz zitiert und dann darauf gedankliche Folgen aufbaut. Dabei heißt es bei Paulus ganz klar:

„Jedermann sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan; denn es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre; die vorhandenen aber sind von Gott verordnet.

Interessant finde ich, dass Paulus hier eindeutig eine Begründung liefert, die kein denkender Mensch heute noch akzeptieren kann, ja, die nicht einmal den Regeln simpelster Logik genügt, ein klassischer non sequitur.
Wäre Obrigkeit von einem Gott eingesetzt, noch dazu vom christlichen Gott, müsste man sämtliche Attribute, die man diesem Gott zuordnet, sofort vergessen, denn in viel zu vielen Ländern gibt es „Obrigkeiten“, die man nur als verbrecherisch bezeichnen kann und dieser Gott wäre damit auch für diese zur Rechenschaft zu ziehen. Ein als die Menschen liebender gedachter Gott würde solch eine Schuld, der Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind, oft unter grausamster Folter, tragen können. Und nein, hier wird der christliche Gott nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen, sondern nur an dem, was sich frühchristliche Theologen ausgedacht haben und ALLE nachfolgende Theologie als selbstverständlich übernommen hat:
„Also hat Gott die Welt geliebt …“ (Johannes 3, 16)

Das ist es, was zählt, dass der einzelne Christ aus seinem Glauben heraus, aus seiner Beziehung zu Gott heraus verantwortlich handelt

Solche Aussagen sind schnell formuliert, dumm nur, dass sie notwendigerweise nicht mit konkretem Inhalt gefüllt werden können, auf den sich alle zu einigen vermögen, weil es keine verlässlichen Kriterien dafür gibt, was „verantwortliches Handeln im christlichen Sinne“ eigentlich heißen soll. Jede christliche Sekte füllt nämlich diesen Satz mit anderen Schwerpunkten.

Man sagt, dass Apostelgeschichte 5,29 dem Satz von Römer 13 überzuordnen ist: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Die Dominanz dieses Textes hatte schon so mancher im Widerstand erkannt.

Auch hier wieder das gleiche Problem: Was bedeutet es denn, „Gott gehorchen“, wenn es keine verlässlichen Kriterien gibt und je nach Sekte Gläubige bei der selben Frage zu genau gegensätzlichen „Antworten“ kommen?
Es gibt wohl kein gesellschaftliches Problem, bei dem sich nicht Theologen finden, die „aus ihrem Glauben“ heraus Argumente für und gegen eine bestimmte Lösung vertreten, sie es die Todesstrafe, Abtreibung, Geburtenkontrolle, Gleichberechtigung von Mann und Frau, gleichgeschlechtliche Ehe usw., usw.
Ethische Fragen i Sinne einer humanen Werteordnung können von der Theologie nicht adäquat behandelt werden, da ihr immer wieder archaische „Gebote“, die zudem allzu oft noch widersprüchlich sind, wie z. B. das angebliche Tötungsverbot gegenüber allen möglichen „Vergehen“, die mit dem Tode zu bestrafen sind, im Wege stehen.
Eine christliche Ethik zu entwickeln, die tatsächlich auf der Bibel als Grundlage aufbaut, ist ein Ding der Unmöglichkeit, wie die gesamte christliche Geschichte vor der Zeit der Aufklärung beweist.
Natürlich gab es auch damals schon ethisch fortschrittlich denkende Christen, doch die wurden regelmäßig durch die herrschenden Kirchen mundtot gemacht, im Extremfall auch auf dem Scheiterhaufen.

Wie rückständig verbohrt Glaubens-„Wahrheiten“ wirklich ethischen Grundsätzen entgegenstehen, verrät nicht zuletzt der Antimodernisteneid der katholischen Kirche, der zwar 1967 offiziell abgeschafft wurde, aber voll inhaltlich immer noch die Meinung der rkK wiedergibt.

 

Wolfgang Fenske
12. Mai 2018 um 9:12 Uhr

Wenn Kirche und Staat zusammen laufen – muss das unheilvoll sein? Ob unheilvoll oder nicht: Es hat sich geschichtlich so ergeben, ohne den Staat hätte die protestantische Kirche vermutlich kaum bzw. anders überlebt – zumindest in der Anfangsphase nicht. Aber das heißt nun: Die Herrscher waren Christen, die sich von der Sicht Luthers warum auch immer angesprochen fühlten.

*

Dass die Bibel keine Relevanz hat für die globale Welt – wie können Sie das einfach so behaupten. Christen gibt es überall – und viele nehmen ihre Bibel ernst. Und sie sind in der Wirtschaft tätig, in der Forschung, in den Medien, … – sie hängen es vielleicht nicht an die große Glocke, aber sie leben aus der Kraft, dem Trost, den Anweisungen des Wortes Gottes. Die Kirchen mischen mit in Friedensfragen, in Fragen der Ethik usw. Wenn Ihnen dann doch manche Christen begegnen in politisch wichtiger Funktion, dann müssen Sie das sofort negieren, darum Ihre hysterisch-abwehrende Sprache: „Regierung von Evangelikalen durchseucht“. Sie müssen Menschen, die Sie zu Gegnern erklären, kleinreden, sie verbal erniedrigen, sich über sie verbal erheben – das kennen wir ja schon alles aus manchen Ihrer Beiträge. Aber wenn sich manche von Ihnen nicht kleinkriegen lassen oder es ihnen egal ist, was Sie denken, dann kommen solche verbalen hysterischen Ausfälle.

*

Was für alle Menschen gilt, gilt selbstverständlich auch für Obrigkeiten. Auch diese sind keine Marionetten Gottes. Sie haben Freiheit, ihre verantwortlichen Positionen zu missbrauchen. Gehorsam gegenüber der Obrigkeit betrifft ja im konkreten Fall wie geschrieben, dass man sich den Steuereinnehmern nicht widersetzt. Es gibt Regierende – es muss Regierende geben. Es gibt Gesetze – es muss Gesetze geben. Und das ist, so Paulus, von Gott. Einfach um Ordnung zwischen den Menschen zu schaffen. Aber sie können auch missbraucht werden – entsprechend bekämpft er ja manches aus seiner Zeit.

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Dass jede christliche Sekte „verantwortlich“ Handeln unterschiedlich füllt, das stimmt nicht. Auch christliche Sondergruppen haben mit anderen Christen eine gemeinsame Schnittmenge (es gibt freilich auch Gruppen, die vollkommen herausfallen). Man muss sie nur wahrnehmen wollen.
Was die ethischen Folgen des Glaubens betrifft, hier gibt es viel Diskussionsbedarf und Diskussionen in manchen Bereichen. Sie nennen ein paar. Glaubende sind Teil von Gruppen. Sie haben Weltanschauungen übernommen. Sie vom Glauben her korrigieren lassen, ist nicht leicht. Manchmal sieht man nicht einmal den Fehler (strukturelle Schuld). Glauben bedeutet auch wachsen, immer hellhöriger werden auf das, was Gottes Geist von einem fordert. Christen sind nie fertig – und fallen auch manchmal wieder zurück. Christen sind Menschen – Menschen leben – als lebendige Menschen sind sie von allen möglichen Einflüssen bestimmbar, von eigenen, von anderen, von Versuchen, sich anzupassen… Das nennt die Tradition übrigens: Satan, der Christen versucht. Ob man nun Satan als Macht akzeptiert oder nicht – alle Christen, die mit sich wach umgehen, wissen, dass sie nicht vollkommen sind. Von daher ist die Forderung, Christen sollen vollkommen sein, gut und richtig – aber eben nur als Forderung, sich zu bemühen. In der Bergpredigt hören wir Jesus sagen: Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. Wenig später heißt es im Vaterunser: vergib uns unsere Schuld. Dann heißt es: Schau nicht auf den Splitter im Auge deines Bruders, sondern nimm den Balken im eigenen Auge wahr… Christen sind nicht vollkommen, wir leben aus der Vergebung Gottes.

 

Holger Gronwaldt
2. Juni 2018 um 14:00 Uhr

Dass die Bibel keine Relevanz hat für die globale Welt – wie können Sie das einfach so behaupten. Christen gibt es überall – und viele nehmen ihre Bibel ernst.

Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt: Als ich sagte, die Bibel sei nicht mehr relevant für dir heutige Welt, meinte ich nicht, dass sie überhaupt keinen Einfluss hätte, sondern wollte ausdrücken, dass man für rationale Entscheidungen, die zu treffen sind, nicht auf die Bibel zurückgreifen darf, da sie keine Antworten liefern kann, die der heutigen Situation noch gerecht werden könnten – es sei denn, man betriebe extremes cherry-picking und versuchte, Entscheidungen, die man sowieso getroffen hätte, durch Bezug auf die Bibel nachträglich zu rechtfertigen.

Aber wie kommen Sie darauf, dass die Bibel „Wort Gottes“ sei? Sie ist doch nur ein Bericht darüber, wie sich Menschen der Vergangenheit ihren Gott vorgestellt haben. Wäre sie tatsächlich das Wort eines Gottes, hätte dieser Gott sich für etliches zu rechtfertigen!

Die Kirchen mischen mit in Friedensfragen, in Fragen der Ethik usw.

Sie mischen sich vor allem ein in Dinge, die sie nichts angehen, wie z. B. das Leben von Menschen, die nicht an den Gott der Christen glauben.

Wenn Ihnen dann doch manche Christen begegnen in politisch wichtiger Funktion, dann müssen Sie das sofort negieren, darum Ihre hysterisch-abwehrende Sprache: „Regierung von Evangelikalen durchseucht“. Sie müssen Menschen, die Sie zu Gegnern erklären, kleinreden, sie verbal erniedrigen, sich über sie verbal erheben

Ich denke, man kann sich darauf einigen, dass Leute, die aufgrund ihrer religiösen Indoktrination die Wirklichkeit so weit verleugnen, dass sie die Erde für nur 6000 Jahre alt halten, einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihren sonstigen Ansichten nicht würdig sind. So viel Verblendung wirkt sich auch auf den Rest ihrer Wahrnehmung von Wirklichkeit aus. Das kann man nur als lächerliche bis gefährliche Weltsicht abtun – gefährlich nämlich dann, wenn diese Typen auch noch politische Macht ausüben, wie gegenwärtig in den USA.

Was für alle Menschen gilt, gilt selbstverständlich auch für Obrigkeiten. Auch diese sind keine Marionetten Gottes.

Da sind wir uns einig, nur Paulus scheint das anders zu sehen, sonst würde er nicht unbedingten Gehorsam einfordern.

Gehorsam gegenüber der Obrigkeit betrifft ja im konkreten Fall wie geschrieben, dass man sich den Steuereinnehmern nicht widersetzt.

Eine recht eigenwillige Interpretation, die der Text so nicht hergibt.

Es gibt Regierende – es muss Regierende geben. Es gibt Gesetze – es muss Gesetze geben. Und das ist, so Paulus, von Gott.

Und auch da irrt Paulus, wie so oft.

Was die ethischen Folgen des Glaubens betrifft, hier gibt es viel Diskussionsbedarf und Diskussionen in manchen Bereichen. Sie nennen ein paar. Glaubende sind Teil von Gruppen. Sie haben Weltanschauungen übernommen.

In der Regel als frühkindliche Indoktrination durch ihre religiösen Eltern und Erzieher.

Sie vom Glauben her korrigieren lassen, ist nicht leicht.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die reifende Weltanschauung muss den Glauben korrigieren. Eine Erde, die 6000 Jahre alt ist, ist einfach nur lachhaft!

Glauben bedeutet auch wachsen, immer hellhöriger werden auf das, was Gottes Geist von einem fordert.

„Gottes Geist“ war schon immer stumm und wird es auch mangels Existenz immer bleiben. Was manche als „Gottes Geist“ fehlinterpretieren, sind längst überholte „Botschaften“ aus archaischen Texten.

Ob man nun Satan als Macht akzeptiert oder nicht –

Als wenn man das unter vernunftbegabten Menschen noch diskutieren müsste!

Christen sollen vollkommen sein, gut und richtig

Nur leider liefert die Bibel keine brauchbaren Kriterien für das, was „vollkommen, gut und richtig“ ist, daher auch die vielen verschiedenen Sekten, die sich darauf nicht einigen können. 🙂

 

Wolfgang Fenske
3. Juni 2018 um 8:46 Uhr

Nur ganz kurz:

Bibel – es geht um reziprokes Lesen: Ich lese – ich verstehe – das Gelesene beeinflusst mich – ich lese es wieder aus dieser neuen Perspektive, ich lese mich immer noch hinein, aber das Gelesene beeinflusst mich wieder… Und wenn ich Gott ernst nehme, dann lese ich sie nicht nur wie einen spannenden Roman, als Gesetzbuch, als Buch mit alten biographischen Splittern. Ich versuche mich zurückzunehmen, denke über das Gelesene nach. Und trage als Mensch Verantwortung für das, was ich dann daraus entnehme. Als Mensch, der Gottes Geist hat…

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Bibel ist für mich Gottes Wort, auch wenn Menschen ihre Erfahrungen mitteilen. Gottes Wort ist nicht statisch, es ist lebendig wie ich als Leser lebendig bin, wie die Autoren als Menschen ihrer Zeit lebendig waren. Es ist Gottes Wort, weil viele Menschen (Kirchen/Gemeinde) in diesem Gott zu sich sprechen hörten. Dieses haben wir schon vielfältig durchdacht: Bibel und Bibelverständnis

*

Kirchen mischen mit, wie alle in einer Gesellschaft Lebenden mitmischen sollten. Warum sollte es gerade Kirchen untersagt werden? Natürlich haben sie eine gewisse Dominanz, weil es geschichtlich so gewachsen ist. Aber warum sollte man sich zurückhalten, wenn man meint, etwas laufe falsch – etwas laufe gut? Dass das Gegnern der Kirche und Religionskritikern insgesamt ärgerlich ist – na und? Sie tun ja alles, was in einer Demokratie erlaubt ist, um das zu ändern, die Kirche und Religion zurückzudrängen. Vielleicht setzen sie sich mehrheitlich durch – vielleicht auch nicht? Sie treten für das eine ein ich für das andere. Munteres Streiten – wenn es denn nicht verbal entgleist.

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Der Kampf gegen die Ansichten mancher Evangelikalen… – auch das gehört zum demokratischen Austarieren einer Gesellschaft dazu. Nur: Der Ton macht die Musik – und der sollte auch bei Nichtchristen nicht diktatorischen Klang haben. Eine gewisse Gelassenheit anderen Meinungen und Weltanschauungen gegenüber wäre nicht schlecht.

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Nur andere indoktrinieren und haben ihre Sicht, weil sie indoktriniert wurden. So ist das: Ich (= jedes Individuum) bin Maßstab für alles Gute. Der Andersdenkende ist einfach nur lächerlich, er wurde indoktriniert, er indoktriniert, er hat keinen Verstand / keine Vernunft bzw. setzt sie nicht ein, er zerstört die Welt, ich der große Retter, muss sie mit Gleichgesinnten vor den bösen anderen indoktrinierten Menschen retten. Ich, der Held! Solche Assoziationen habe ich angesichts Ihrer Sprache in Ihren Kommenatren.

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Übrigens: „Vernunftbegabt“ – ein äußerst religiöser Begriff.

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Sekten/Sondergruppen: Auch das hatten wir schon häufig: Warum sollen sich alle auf eine Bibelinterpretation einigen? Der Mensch interpretiert aus seiner Tradition, Weltanschauung… Christliche Sondergruppen haben so viele unterschiedliche Gründe ihres Entstehens… Der Mensch ist frei – auch in der Interpretation der Bibel und in der daraus folgenden Gestaltung einer Gemeinschaft. Und Freiheit bringt Fehler mit sich – wie sie Verantwortung mit sich bringt.

 

Holger Gronwaldt
3. Juni 2018 um 12:49 Uhr

@W. Fenske,

Bibel ist für mich Gottes Wort

Wie erklären Sie sich dann die vielen, vielen Fehler – angefangen bei den Schöpfungsgeschichten – Widersprüche, frei erfundenen Geschichten – der gesamte Pentateuch und die Ungeheuerlichkeiten, die JHWH selber befiehlt?

Eine gewisse Gelassenheit anderen Meinungen und Weltanschauungen gegenüber wäre nicht schlecht.

Sehe ich grundsätzlich auch so, allerdings ist die Grenze der Gelassenheit da erreicht, wo Gruppen mit objektiv falschen Ansichten einen Einfluss ausüben, der dem Rest der Menschheit zum Schaden gereicht. Das gilt z. B. für alle Leugner der Evolution.

Und wenn dann auch noch mit Täuschung und Lüge gearbeitet wird, klappt das Visier endgültig herunter. Siehe z. B. den Kommentar einiger Theologen, bzw. Theolügner und sonstiger Spinner zum so genannten Kreuzerlass: https://www.kreuzerlass.de

 

Wolfgang Fenske
6. Juni 2018 um 8:43 Uhr

Die Bibel ist nicht von Gott diktiert worden. Sie ist Wiedergabe menschlicher Erfahrungen mit Gott. Sie wird mir und den Christen zum Wort Gottes, so sie Gott wiedergibt, ihn im Leben real werden lässt. Gott setzt sich auch in der Bibel gegen den Menschen durch – sichtbar an Jesus Christus und dessen Auferweckung durch Gott. Wenn es Gott nicht gibt, wenn es Auferstehung nicht gibt, wenn Jesus ein Irgendwer war, wenn überhaupt, dann sind solche Worte ohne Sinn und Verstand. Darum ist es wohl so, dass – obwohl ich das schon vielfach geschrieben habe, von verschiedenen Seiten beleuchtet habe, die Fragen immer wieder aufkommen. Bibel und Bibelverständnis
Wer die Grundlage nicht akzeptiert, kann die Schlussfolgerungen selbstverständlich auch nicht verstehen.

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Was den zweiten Teil des Kommentares betrifft: Jeder ist sein eigener Maßstab für das, was er als objektiv ansieht. In einer Demokratie dürfen die Menschen mit ihren unterschiedlichsten Weltanschauungen miteinander argumentativ ringen. Jeder versucht, andere von seiner Sicht zu überzeugen. Solange das für jeden ermöglicht wird und nicht Leute, die meinen, ihre Sicht allein sei die Wahre, herkommen und alle anderen nicht argumentativ und unfair unterdrücken, geht das ja noch.
Sie werden wohl kaum einen finden, der meint, seine Meinung sei Lüge und Täuschung. Das sind weitgehend Vorwürfe von anderen an weltanschauliche und politische Gegenspieler. Von daher: Teil der Rhetorik, um den Gegner eins auszuwischen.
Taktik – gehört die zur Lüge und Täuschung? Je nachdem.
Mir fällt in dem Zusammenhang nur am Rande ein: Eine Fluggesellschaft hat ein Videoclip zur Weltmeisterschaft in Russland drehen lassen und dabei den Hintergrund einer ukrainischen Stadt genommen. Warum? Es kommt nicht darauf an, wo die Stadt liegt, sondern welches Bild die Adressaten der Werbung von einer russischen Stadt in sich tragen. Und dieses soll die Werbung abrufen.

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Wolfgang Fenske © 2018