Ausgangstext der Diskussion 28.01.2018: http://blog.wolfgangfenske.de/2018/01/28/theodizee-3-magdalenarobert-scholl/
Die verschiedenen Reaktionen auf die Theodizee-Frage der Familie Scholl (Fortsetzung von Theodizee 1 und Theodizee 2
Die Mutter, Magdalena/Lina Scholl (geb. Müller) (1881-1958) sieht all ihre Kinder in den jeweiligen Auf und Abs – aber sie hält daran fest, dass dieses alles zu einem Plan Gottes gehört. Man kann den Plan Gottes nicht durchschauen, wenn man im Leiden steckt – aber es muss einen Plan geben, den man irgendwann erkennen kann und dann wird man dankbar auch auf das Leiden zurückblicken. Das Leiden, das Rätseln, die Fragen kann man durchstehen, weil Gott Kraft dazu gibt. Man kann sich Gottes Geist erbitten, den Geist der Freude, trotz des Schmerzes (12.6.1943). Für sie bringt das Halten an Gott auch Freiheit. Man muss nicht im Leiden, das man nicht ändern kann, versinken. Gott macht frei, über dem Leiden zu stehen.
Der Vater, Robert Scholl (1891-1973) geht anders mit dem Leiden um. Er kann die christliche Perspektive nicht übernehmen und sieht alles aus einer „liberalen“ Perspektive: Am Ende des Lebens kommt es darauf an, was man mit dem Leben gemacht hat, schreibt er. Was die Weltgeschichte betrifft: Eine Kraft treibt den menschlichen Geist immer weiter nach vorne zum humanen Miteinander – und das Leiden das die nationalsozialistische Gegenwart verursacht, ist Rückschritt, die das Vorwärtsgehen letztlich aber nicht verhindern kann (Brief vom 13.6.1943 und 12.6.1943, die Tochter Inge sieht das anders: 12.6.1943: Immer ein Ringen zwischen Licht und Finsternis – aber das Licht wird immer die eigentliche Macht haben). In diesem Zusammenhang gehört auch die Erkenntnis: „In der Erkenntnis der letzten Dinge, d.h. der Wahrheit darf man überhaupt sich nie fertig fühlen. Denn das wäre Überheblichkeit. An die Grenze der Erkenntnis kann nur ein vollkommener Geist gelangen und das ist kein sterblicher Mensch.“ (24.8.1943) Allerdings kennt auch er das Gebet, das ihn mit den hingerichteten Kindern verbinden kann. Robert Scholl war 1942 für einige Monate inhaftiert, weil er Hitler als Geißel Gottes bezeichnet hatte und war 1943 nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl mit seiner Frau Magdalena und der Tochter Inge in „Sippenhaft“, aus der Briefe veröffentlicht wurden.
Meine Sicht: Vielleicht die von Magdalena Scholl? Vielleicht die morgen vorgestellte von Inge Scholl? Vielleicht aber auch die übermorgen vorgestellte Sicht von Sophie oder Hans Scholl? Von Werner Scholl?… Oder eine ganz andere? Meine Sicht kommt noch. Obgleich sie nicht relevant ist. Jeder muss sich persönlich hindurchkämpfen, um eine für ihn in der jeweiligen Situation adäquate Sicht zu kommen. In der Theodizee-Frage ist die Theorie immer das eine – das andere immer die Antwortversuche in der konkreten Not.
Holger Gronwaldt
28. Januar 2018 um 14:05 Uhr
Es wird nicht klar, ob das die alleinige Meinung von Magdalena/Lina Scholl ist oder ob Sie, Herr Fenske, diese Sicht teilen.
Inhaltlich ist die Aussage vom Stand des heutigen Wissens her gesehen, natürlich nicht haltbar, objektiv betrachtet, sogar ein wenig zynisch, denn wie wollte ein Gott es rechtfertigen, einige Menschen leiden zu lassen, andere aber ein nach irdischen Maßstäben unbeschwertes und komfortables Leben führen zu lassen, aber allen winkt dann im (imaginären) jenseitigen Leben dieselbe Belohnung für ihren Glauben, nämlich das (ebenso imaginäre) „ewige Leben“?
Das ist im Prinzip wieder die Theodizee-Frage und auch hier muss die Theologie eine sinnvolle Antwort schuldig bleiben!
Dieser Aussage kann ich sogar zustimmen, evtl. mit der kleinen Einschränkung, dass ich den „vollkommenen Geist“ für imaginär halte, während Inge Scholl dessen Existenz möglicherweise voraussetzt.
Mit der Weltsicht von Robert Scholl gehe ich weitgehend konform und es ehrt Sie, Herr Fenske, dass Sie diese – nicht-christliche – Einstellung nicht einfach unterschlagen.
Man sieht also, dass es nicht unbedingt einer christlichen Weltsicht bedarf, um auch angesichts eines überaus bösartigen Regimes standhaft zu bleiben und sich nicht der Verzweiflung hinzugeben. Im Grund genommen ist eine solche Einstellung, wie sie Robert Scholl zeigt, nicht nur ehrlicher gegenüber sich selbst und den Mitmenschen, sondern auch menschlich größer, da sie sich nicht mit der Illusion tröstet, in einem jenseitigen Leben für auf dieser Welt erlittenes Unrecht belohnt zu werden.